Ein Jahr Standortanwalt: Für mehr Fairness im UVP-Verfahren

Nachhaltigkeit ist keine Einbahnstraße Richtung radikalem Umweltschutz, sondern bezieht auch die regionale Wertschöpfung mit ein. Deswegen gibt es in Österreich seit einem Jahr den Standortanwalt. Wir ziehen mit dem Tiroler Vertreter Stefan Garbislander Bilanz.

SI: Herr Garbislander, was genau
machen Sie als Standortanwalt?

Stefan Garbislander: Zusammen mit meiner Abteilung Wirtschaftspolitik, Innovation und Strategie in der Wirtschaftskammer Tirol zeige ich bei bedeutsamen
Investitionsprojekten die regionalwirtschaftlichen Argumente auf, die für die Verwirklichung des Vorhabens sprechen. Damit wird erstmals die ökologische
und die ökonomische Seite gleichermaßen beleuchtet.

Warum ist das notwendig?

Es geht um Fairness. Bisher war jeder Projektwerber alleine und stand einer gut organisierten Riege aus Projektgegnern, häufig Umwelt-NGOs, gegenüber. Die öffentlichen Interessen wurden im Wesentlichen nur im Hinblick auf den Umwelt- und Artenschutz, insbesondere von Umwelt-NGOs und Umweltanwälten,
wahrgenommen. Die anderen öffentlichen standort- und wirtschaftspolitischen Interessen an der Verwirklichung eines Vorhabens gerieten dem gegenüber
weitgehend ins Hintertreffen. Wir sorgen wieder für mehr Gleichgewicht im UVP-Verfahren.

Ist dies im vergangenen Jahr gelungen?

Da wir erst in UVP-Verfahren mit Stichtag 18. Dezember 2018 als Partei tätig werden dürfen, konnten wir für Skigebiete im vergangenen Jahr als Anwalt noch nicht tätig werden. Für Skigebiete haben wir jedoch Gutachten erstellt, die diese dann selbst ins UVP-Verfahren einbringen konnten. Ein Beispiel ist hier der Skigebietszusammenschluss von Pitztal und Ötztal.

Mit dem Wertschöpfungsrechner werden die Auswirkungen eines Projekts auf die Beschäftigung, die Wertschöpfung, das Einkommen, das Steuer- und Abgabenaufkommen sowie auf einzelne Branchen dargestellt. Grafik Wirtschaft Tirol/. Quelle: Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW)

Gibt es – neben dem Stichtag – noch weitere Hürden?

Das Problem ist, dass nicht nur UVP-Verfahren zu lange dauern und oft unfair dem Projektwerber gegenüber gestaltet sind, sondern auch kleinere naturschutzrechtliche Verfahren. Wir fordern, dass der Standortanwalt auch bei diesen Projekten Parteistellung bekommt. Zudem wäre es wünschenswert, dass wir auch an Feststellungsverfahren beteiligt werden, bevor es überhaupt zu einem UVPVerfahren kommt. Auch hier geht es um ein Gleichgewicht der Interessen.

Dieses ist immer noch nicht gegeben?

Der Standortanwalt ist nur ein erster Schritt für mehr Gleichgewicht von ökonomischen und ökologischen Interessen. Erstere werden seit vielen Jahren doppelt
und dreifach vertreten, wir bilden nun ein Gegengewicht zusammen mit dem Projektwerber. Wobei ich betonen muss, dass wir ja nicht gegen Umweltschutz sind, sondern für eine umfassende Bewertung von Projekten eintreten. In der Seilbahnbranche geht es sowieso nur um Adaptionen und Zusammenschlüsse – von Neuerschließungen redet niemand.

Wie belegen Sie die ökonomische Nachhaltigkeit eines Projektes?

Wir analysieren die positiven regionalwirtschaftlichen Effekte, welche ein Projekt sowohl in der Errichtungsphase als auch im Betrieb generieren wird. Dazu setzen wir auf den Wertschöpfungsrechner der Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW). Mit dem objektiven Instrument können wir rasch klären, ob bei einem Investitionsvorhaben öffentliches Interesse gegeben ist. Die belegbaren Zahlen sorgen für mehr Sachlichkeit im Verfahren.

Wie dürfen wir uns das konkret vorstellen?

Der Wertschöpfungsrechner untersucht die Auswirkungen eines Projektes auf die Beschäftigung, die Wertschöpfung, das Einkommen, die Verbesserung der Infrastruktur, sowie das Steuer- und Abgabenaufkommen für einzelne Branchen und die Region. Dabei berücksichtigt der Wertschöpfungsrechner sowohl direkte Effekte (durch Nachfrageimpulse), indirekte Effekte (durch Aufträge an Zulieferer) als auch induzierte Effekte (zusätzlicher Konsum und Investitionen).

Was passiert mit dem Ergebnis?

Die Erkentnisse der Analyse bringen wir in Form schriftlich und mündlich in das UVP-Verfahren ein. Die Behörde muss unsere Argumente bei der Interessenabwägung berücksichtigen. Darüber hinaus haben wir Akteneinsicht und das Recht, gegen Genehmigungsbescheide Beschwerde und Revision einzulegen.

Was kostet dem Projektwerber das Enagement des Standortanwalts?

Mit unserer Verankerung in der Wirtschaftskammer entstehen weder für den Projektwerber noch für den Steuerzahler zusätzliche Kosten. Die Wirtschaftskammer verfügt bereits über die notwendige Struktur, das Know-how & die Expertise.

Wie können Verfahren noch fairer werden?

Neben mehr Kompetenzen für den Standortanwalt würde eine Kostenbeteiligung der NGOs an den Verfahren für mehr Fairness sorgen. Zudem gilt es die
Pläne der Landesumweltanwälte zu verhindern, welche die Schwellenwerte für UVP-Verfahren senken wollen.

Sonst droht jedem noch so kleinen Speicherteich ein langer, komplizierter Prozess. Wir brauchen vielmehr einfachere und kürzere Verfahren, in denen die Interessensabwägung ausgeglichen erfolgt! Das Interview führte Thomas Surrer (ts)

Standortanwälte auch in Schweiz?

„Die Bewilligungsverfahren für Bergbahnprojekte, so auch die UVP, laufen in Österreich etwas anders ab als in der Schweiz. Die Bundesländer haben andere Befugnisse als unsere Kantone. Das Standortanwalt-System wäre aus unserer Sicht vom Branchenverband Seilbahnen Schweiz (SBS) sehr wünschenswert.

Es könnten so betrieblich und lokal gut passende Lösungen auf Platz diskutiert und festlegt werden. Mit den Vorteilen: weniger bürokratischer Aufwand, weniger
Zeitverlust und kürzere Projektdauer. Im aktuellen politischen Umfeld scheint uns aber eine solche Systemanpassung in der Schweiz leider nicht so
schnell umsetzbar.

Kurz: In diesem Aspekt ist Österreich der Schweiz voraus; es macht großen Sinn, solche spezialisierten Anwälte auf Platz/in der Region zu haben und jeweils ‚Nägel mit Köpfen zu machen‘ – wie wir in der Schweiz sagen.“