Corona und Österreichs Tourismus

Versuch einer ersten Zwischenbilanz: Seit über zehn Monaten verändert Corona die Welt. Ein Ende der Pandemie ist völlig ungewiss – auch 2021 wird maßgeblich durch Covid-19 geprägt sein. Die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen werden auch im österreichischen Tourismus noch jahrelang heftig nachwirken.

Der Tourismus ist in dieser globalen Gesamtentwicklung letztlich nur ein „Stein“ im globalen „Wirtschafts-Ozean“ – freilich einer, der enorme Wellen schlägt. Die beispiellose Vernetzung des Tourismus mit anderen Branchen – in guten Zeiten stolz als Multiplikatorwirkung bezeichnet – entfaltet in einer Pandemie ihre ganze Dramatik in die entgegengesetzte Richtung und entfacht den „perfekten“ Sturm, wie Tourismusexperte Martin Schumacher von der Agentur conos bilanziert.

Ohne Reisefreiheit kein Tourismus, damit aber auch kein Flugverkehr, keine Flughäfen, keine Handelsumsätze, keine Umsätze bei Vorleistern, keine Steuer-einnahmen. Gerade weil der Tourismus als Primärsektor mit am stärksten von Corona betroffen ist, geraten auch diese Wechselwirkungen und „Infektionen“ an-derer Wirtschaftsbereiche besonders heftig.

Aktuell erscheinen weltweit in großer Zahl erste „Bewertungen“ der gesamtwirtschaftlichen und tourismusspezifischen Ausfälle durch Covid: Diese Berechnungen – kaum eine davon ist wirklich abgesichert – zeigen Ausfälle für Österreichs Tourismus in den ersten neun Monaten zwischen 25 und 80 Prozent – je nach Region und Betriebstyp. Solche Werte sind freilich immer aggregiert und werden damit den einzelnen destinationsspezifischen oder einzelbetrieblichen Entwicklungen nicht gerecht.

Die Agentur conos konnte aber in der Zusammenarbeit mit Kunden im gesamten Alpenraum über diese ersten Monate der Pandemie im Zeitraum Ende Mai bis Ende September folgende Entwicklungen feststellen:

Zwar werden die Menschen auch in diesem Winter Berge, Schnee und Ski nicht missen wollen; sie werden sich wohl sehr kurzfristig entscheiden. Reisewarnungen bzw. deren Aufhebung werden zentrale „game changer“ in diesem Winter sein. Foto: Hauser Kaibling/Bernhard Moser

Ost schlug West:

Die traditionell hohen Inlandsanteile der östlichen Bundesländer, gepaart mit den dort relativ geringen betrieblichen Kapazitäten entpuppten sich heuer als strategischer Vorteil.

Top-Resorts und Chaletdörfer siegen:

Zwei Betriebstypen hatten einen „Jahr-hundert-Sommer“: Top-Ferienanlagen im 4 und 5 Sterne Bereich sowie luxuriöse Chalet(-dörfer) verzeichneten Sensationsauslastungen und -erträge und hatten vielfach den besten Sommer aller Zeiten – ohne Reisewarnungen ab Ende September wäre diese Entwicklung auch bis tief in den Herbst hinein weiter gegangen!

Martin Schumacher. Foto: conos gmbh/Claudia Blake

Die Städte als lebende Tote:

Allseits bekannt, in ihrer Dramatik aber beispiellos, ist der melt down in Wien und praktisch allen Landeshauptstädten. Ohne internationale Märkte, ohne Kongresse, ohne Events ist deren Geschäftsmodell praktisch vollständig zum Erliegen gekommen, Reisewarnungen besorgten den Rest: Ausfälle von 80 und mehr Prozent lassen kein Wirtschaften mehr zu.

Alleine in Wien sind über 50 Prozent der Hotel- und Gastronomie-Betriebe geschlossen; es bleibt unklar, wie viele davon für immer vom Markt verschwinden werden – mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen für Betriebe, Mitarbeiter und Standortregionen. Ein Ausblick auf die nächsten Wochen und Monate, aber auch Jahre gerät – aktuell – leider sehr düster:

Reisewarnungen sind Gift

Bestehende Reisewarnungen für Regionen, die in den Hauptherkunfts-Märkten als „Image-Träger“ gelten (etwa Tirol und Wien) haben jedes Geschäft abrupt zum Erliegen gebracht. Der „pick up“ in den Beherbergungsbetrieben liegt vielfach bei „Null“. Nach einem noch sehr guten September war der Oktober vielfach ein Totalausfall.

Sehr kurzfristige Buchungen

Die Prognosen für den kommenden Winter sind seriös kaum anstellbar: Ginge man nach den Vorbuchungen würde er furchtbar, andererseits werden die Menschen auch in diesem Winter Berge, Schnee und Ski nicht missen wollen; sie werden sich wohl sehr kurzfristig entscheiden. Reisewarnungen bzw. deren Aufhebung werden zentrale „game changer“ in diesem Winter sein.

Vor diesem Hintergrund gerät die immer wieder thematisierte Frage des „Après-Ski“ ohnehin zur Petitesse. Den Städten steht ein weiteres „Horror-(Halb-)Jahr“ bevor – so viel ist leider sicher.

Markt wird bereinigt

Mittelfrist-Prognosen scheinen treffsicherer, jedoch ebenso wenig erfreulich: Es ist tatsächlich nicht davon auszugehen, dass in den nächsten drei bis fünf Jahren auch nur annähernd Vor-Covid-Niveaus erreichbar sein werden: für die Städte ist dieses Szenario noch gewisser als für die Land-Destinationen; wir werden teils dramatische Marktbereinigungen erleben: Vieles wird „zusperren“ und nicht mehr aufgehen; dar-an werden auch staatliche Hilfssysteme – die ja nicht ewig und ohne Limit bereit-gestellt werden können – nichts ändern können.

Auch, wenn es uns allen lieber wäre: Es gibt keinen wirklich optimistischen Ausblick auf die nächsten Monate und Jahre, außer jener, dass es einzelbetrieblich und auf Ebene einzelner Destinationen – wie seit jeher – immer positive Ausreißer geben kann und wird (bzw. solche mit weniger dramatischen Entwicklungen). Dies ist erfreulich und gut – aber eben die Ausnahme.

Für alle anderen gilt: Covid mischt die Karten in Gesellschaft und Wirtschaft wohl tatsächlich und nachhaltig neu: Jeder einzelne Mensch, jeder Unternehmer und nicht zuletzt die Politik werden erkennen müssen, dass das Denken in immer neuen Rekorden – jedenfalls auf die nächsten Jahre – beendet ist: „Schneller – höher – stärker“ wird vorerst abgelöst durch „weniger ist mehr“.  Dr. Martin Schumacher