TRUsplice Es – Verkürzter Langspleiss: Erfahrungen außerhalb der Norm

Seit mehreren Jahren forscht der Seilhersteller FATZER gemeinsam mit der Hochschule Luzern und dem Bahnhersteller DOPPELMAYR/GARAVENTA an dem verkürzten Langspleiß. Die Tests in Silvretta Montafon zeigen erneut, dass die Technik funktioniert – trotz Normabweichung.

Wird ein Seil für eine Seilbahn angeliefert, so gibt es ein Problem – oder besser gesagt zwei: die Enden. Die müssen vor Ort zuerst einmal so verflochten werden, dass ein sicheres, regelmäßiges, endloses Seil entsteht. Spleißen heißt dieses Handwerk, Langspleiß die Stelle, an der die Seilenden zusammengefügt werden.

Lang sind die Spleiße der Förderseile wirklich: nämlich 60 oder auch mehr Meter, abhängig vom Durchmesser des Seils. Die grundlegenden Untersuchungen von Dr. Hans Overlach an der Technischen Universität Karlsruhe und deren Veröffentlichung 1931 stellen bis heute die einzige wissenschaftliche Arbeit zur Kraftübertragung in Spleißverbindungen bei Seilbahnseilen dar.

Damals wurde Hanf als Hilfsmaterial für das Spleißen verwendet, heute wird ein Spezialgummiband eingesetzt. Während jahrzehntelang mit der bewährten Formel gearbeitet wurde, vermuteten Praktiker der Branche schon länger, dass die Sicherheit auch mit einem kürzeren Langspleiß gewährleistet sein würde.

FATZER, GARAVENTA und die Hochschule Luzern taten sich daher 2015 zusammen, um die Möglichkeit des kurzen Langspleißes wissenschaftlich zu überprüfen. Der Titel: TRUsplice ES!

Das Problem des langen Langspleiß

Doch was hätte man überhaupt von einem kürzeren Langspleiß? Kurz gesagt, die Montage wäre günstiger und einfacher.

„Das Seil muss an einer für das Spleißen geeigneten, ebenen Stelle zusammengefügt werden“, erklärt Prof. René Bärtsch, Dozent der Hochschule Luzern. Nur sind gerade dort, wo es Seilbahnen braucht, 60 Meter ebenes Gelände oft rar.

Der Vorteil des kurzen Langspleiß

Wenn es nun gelingt, den Langspleiß zu verkürzen, besteht vielerorts die Chance, dass gar kein Gerüst nötig ist, denn 30 Meter ebener Grund sind gerade in Städten leichter zu finden als 60. Wo es doch eines braucht, reduziert sich immerhin dessen Länge um die Hälfte. Damit verkürzt sich auch die Montagezeit. Zudem werden weniger Mitarbeiter gebraucht, die das Seil beim Spleiß halten.

Im Schnitt reduziert sich der Bedarf an Hilfskräften um ein Drittel. Auch Notlösungen oder Straßensperren sind unnötig. Vielmehr werden Spleißarbeiten in Stationen möglich.

Phase 1: Die Praxis bei der Testseilbahn

Ausgangspunkt des Projekts war gelebte Praxis bei FATZER: Auf der firmeneigenen Testseilbahn im Drahtseilwerk Romanshorn (Schweiz) setzt das Entwicklungsteam schon länger kürzere Spleiße ein. Denn ein Seil, das vor lauter Testbereichen nur noch aus Spleiß besteht, ist kaum praktikabel. „Schon damals beobachteten wir, dass die vorgeschriebene Spleißlänge von 1.200 x Seildurchmesser ohne Probleme unterschritten werden kann“, berichtet Christof Nater, Forschung und Entwicklung bei FATZER.

Phase 2: Theoriearbeit & Prüflabor

Um aus persönlicher Erfahrung wissenschaftlich belastbare Ergebnisse zu bekommen, schloss sich FATZER mit der Hochschule Luzern zusammen. Die Experten der Hochschule Luzern machten sich daran, mit Hilfe von Mechanik und Mathematik die Kraftverläufe innerhalb des Spleißes genauer zu untersuchen und legten so die Grundlage für eine neue Berechnung. Anschließend wurden die Formeln am Computer simuliert. Und dann hieß es: testen, testen, testen.

„Für die Grundlagenforschung konstruierte die Hochschule eine weltweit einmalige Anlage, die eine Umlenkscheibe simuliert. Sie wurde von GARAVENTA produziert und steht bei uns im Werk“ sagt Nater.

Fast ein Jahr lang wurde die Anlage optimiert, dann wurden unterschiedliche Spleißlängen, Seildurchmesser und weitere Variationen getestet. Die Erkenntnis: Der Kraftverlauf im Seil verhält sich nicht linear – wie die Norm es propagiert – sondern nimmt zuerst zu und dann ab.

Wolfgang Rudiger

Betriebsleiter Valiserabahn I & II, Skigebiet Silvretta Montafon

„Beim Langspleiß ist es höchste Zeit, dass sich was ändert; die Norm ist veraltet. Ich habe mich daher sehr gefreut, als FATZER 2021 auf uns zukam. Die neue Valiserabahn ist mit dem autonomen Betrieb AURO bereits technisch innovativ, nun setzen wir mit dem kurzen Langspleiß noch einen oben drauf. Der Spleiß in der Talstation direkt an der Umlaufscheibe hat viele Vorteile: Kurze Spleißbrücken, weniger Material, niedrigere Kosten, kürzere Arbeitszeit und geringerer Personalbedarf. Die Sicherheit des kurzen Langspleiß ist erprobt – das Seil verhält sich nicht anders als lang gespleißte Seile!“

Phase 3: Sicherheitstests im Werk

Nach der Grundlagenforschung ging es zurück zur Testseilbahn im FATZERWerk. Die Experten haben drei verschiedene Spleiße getestet.
Es zeigte sich: ab 480 x Durchmesser bedeutet zusätzliche Länge nicht mehr zusätzliche Sicherheit.

Phase 4: Praxistest in der Schweiz

Mit diesen Testresultaten kam der erste Einsatz eines kurzen Langspleißes bei der Gondelbahn Vals-Gadenstatt – mit Genehmigung des Bundesamtes für Verkehr. „Wir wussten, dass ein Spleiß mit einer Länge von 480 x Seildurchmesser sicher hält. Um aber gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, haben wir ihn dann 584 x Seildurchmesser lang gemacht“, so Bärtsch.

Der Langspleiß in Betrieb wird regelmäßig visuell inspiziert, vermessen und mit Hilfe einer so genannten magnetinduktiven Messmethode auch im Inneren geprüft. Mit positiven Resultaten: Der Spleiß verhält sich so wie prognostiziert.

Phase 5: Praxistest in Österreich

Seit 2021 kommt der verkürzte Langspleiß auch in Österreich zum Einsatz. Das Skigebiet Silvretta Montafon setzt gleich bei zwei Neuanlagen auf den TRUsplice ES: Bei beiden Sektionen der Kabinenbahn Valisera. Die ersten Ergebnisse der noch laufenden Testreihe decken sich mit den bisherigen Erkenntnissen – die Vorteile überzeugen (siehe Zitatbox).

Des weiteren ist ein kurzer Langspleiß auf der Sesselbahn Madloch im Skigebiet Zürs im Einsatz.

Phase 6: Zertifizierung

Aktuell bemüht sich FATZER darum, den kurzen Langspleiß im etablierten Modul H zu zertifizieren. Somit wäre das Jahrzehnteprojekt bei einem weiteren Meilenstein angelangt.

Mit Material der Hochschule Luzern.
Autorin: Senta van de Weetering