Barrierefrei: Seilbahnen für alle

Weltweit gibt es mehr als eine Milliarde Menschen mit Behinderungen. Das sind über 15 Prozent der gesamten Erdbevölkerung. Eine Zahl, die mit dem demografischen Wandel weiter steigen dürfte. Umso wichtiger sind barrierefreie Verkehrsmittel. Seilbahnen können hier eine Rolle spielen, wenn gewisse Aspekte beachtet werden. SI hat dazu mit Frank Lackner gesprochen, Vorstandsmitglied der Internationalen Initiative für Rollstuhlfahrerinteressen INTERROLLI.

Herr Lackner, Sie sitzen selbst im Rollstuhl und haben zahlreiche Verkehrsmittel behindertengerecht gestalten lassen. Inwiefern sind Seilbahnen barrierefreie Verkehrsmittel?

Frank Lackner: Grundsätzlich sind die Kabinen und die Zu- und Ausstiege von Seilbahnen ab Werk barrierefrei. So ist die Mitnahme von sperrigen Gütern, etwa Rollstühlen, Kinderwägen, Fahrräder, in den Kabinen problemlos möglich – selbst in kleinen Gondeln, weil die Türen breit genug sind und die Bänke hochgeklappt werden können.

Da die einzelnen Kabinen innerhalb der Station lediglich mit einer geringer Geschwindigkeit befördert werden, ist der Ein- und Ausstieg selbst für körperlich eingeschränkte Personen ohne größere Probleme zu bewerkstelligen. Bei Bedarf können die Kabinen sogar vollständig gestoppt werden und der Zustieg im Stand stattfinden. Das Problem liegt – wenn überhaupt – bei den Stationen.

Inwiefern?

Leider wird teilweise auf barrierefreie Stationsgestaltung vergessen – ein Problem, das auch bei anderen Verkehrsmitteln, etwa Eisenbahnstationen, Busbahnhöfen oder Tramhaltestellen, auftritt. Dabei können Stationen leicht barrierefrei gemacht werden: Durch eine ebenerdige Installation oder durch den Zugang zu einer höher gelegenen Einstiegsebene mithilfe von Aufzügen, Treppenlifte und Rampen.

Wir von INTERROLLI sind hier gerne behilflich; wir haben aus eigener Erfahrung praxistaugliche Konzepte entwickelt, wir wissen, was Rollstuhlfahrer benötigen und dass es oft an wenigen Zentimetern Stufe scheitert.

Barrierefrei - Beispiel 1

Die Grünbergseilbahn in Gmunden ist ein österreichisches Beispiel, in denen sich INTERROLLI erfolgreich für Barrierefreiheit einsetzen konnte.

Wie bringen Sie sich denn ein?

Unsere 155 Mitglieder testen international Verkehrsmittel auf ihre Barrierefreiheit und machen Betreiber initiativ auf Misstände aufmerksam. Im Seilbahnsektor konnten wir durch konkrete Vorschläge die Gemsstock-Seilbahn im schweizerischen Andermatt rollstuhlgerecht umbauen lassen.

Noch besser ist es, wenn wir bereits in die Planungen neuer Bahnen eingebunden werden. Dies war etwa bei der rollstuhlgerechten Großkabinenseilbahn auf den Grünberg im österreichischen Gmunden der Fall. Jüngstes Beispiel ist die Zwölferhornbahn:

Im Oktober 2020 wurde nach jahrelangen Bemühungen unsererseits im österreichischen St. Gilgen die neue rollstuhlgerechte Kabinenseilbahn in Betrieb genommen.

Auch Zahnradbahnen lassen sich barrierefrei realisieren. Bestes Beispiel hierfür ist die Schafbergbahn im österreichischen Salzkammergut. Schrägaufzüge als weiteres Seilbahn-System sind per se rollstuhlgerecht, ich verweise hier gerne auf eine deutsche Anlage im Hamburger U-Bahn-Netz.

Barrierefrei - Beispiel 2

Bei der Zwölferhornbahn in St. Gilgen konnte INTERROLLI ebenfalls Einfluss auf die Barrierefreiheit nehmen.

Wie sieht es bei Standseilbahnen aus?

Die Barrierefreiheit in Stationen für Standseilbahnen ist durch die Steigung und den üblicherweise stufenförmigen Einstieg tatsächlich schwieriger umzusetzen. Aber durch einen ebenerdigen Zugang unten beim ersten oder oben am letzten Abteil kann auch dieses System barrierefrei werden. Hier wäre – wie auch bei Luftseilbahnen – ein Test durch Rollstuhlfahrer vor Betriebsstart sinnvoll.

Sollte Barrierefreiheit Pflicht sein?

Generell gelten Schweiz und Schweden als diejenigen, in denen die meisten rollstuhlgerecht ausgestatteten öffentlichen Verkehrsmittel existieren. Auf dem Seilbahnsektor haben Länder wie Deutschland, Österreich, Italien sowie einige ehemalige Ostblockstaaten noch einiges an rollstuhlgerechten Ausstattungen nachzuholen.

Daher finde ich eine öffentliche Liste der weltweit aktuell rollstuhlgerecht ausgestatteten Seilbahnen äußerst sinnvoll und hilfreich. Die Liste sollte allerdings jedes Jahr einmal aktualisiert werden und es müssten am besten alle Betreiber die entsprechenden Daten dazu liefern. Freilich ein großes Unterfangen.

Quasi eine Orientierungshilfe für Rollstuhlfahrer?

Nichts ärgert mich mehr, wie wenn ich von einer barrierefreien Seilbahn lese und dann vor Ort an Stufen scheitere. Barrierefreiheit wird zu oft mit Personal gleichgesetzt, das einem Rollstuhlfahrer hilft. Aber das ist zu wenig. Mal fehlt dem Personal die Zeit, mal das Know-how. Zudem will ich nicht jedes Mal auf jemanden angewiesen sein – und bei urbanen Seilbahnen wäre solch eine personal- und zeitintensive Vorgehensweise sowieso kaum praktikabel.

Der Interviewpartner

Frank Lackner ist Vorstandsmitglied von INTERROLLI.

Über INTERROLLI

Die Internationale Bürgerinitiative für Rollstuhlfahrerinteressen (INTERROLLI) ist eine weltweite Gruppe von körperbehinderten und nichtbehinderten Menschen, die sich im Lauf der vergangenen 30 Jahre, vorwiegend durch Werbe- sowie Unterschriftenaktionen, kennen gelernt haben. Ihr gehören derzeit 155 Mitglieder aus 14 Staaten an, der Hauptsitz ist im deutschen Göttingen.

Damit gerade Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte und Kinderwagenbenutzer öffentliche Gebäude sowie Verkehrsmittel möglichst barrierefrei benutzen können, setzt sich INTERROLLI initiativ für deren rollstuhlgerechte Ausstattung ein.