„Die Machbarkeitstudie kommt oft zu früh!“

Seilbahnplaner Stephan Salzmann beschreibt im SI Interview den Musterprozess von der Idee einer urbanen Seilbahn bis zur deren Umsetzung. Denn oft werden Projekte durch falsches Vorgehen vorzeitig abgestochen.

SI Urban: Herr Salzmann, warum scheitern viele urbane Seilbahnprojekte bereits im frühen Stadium?

Stephan Salzmann: Ideen für urbane Seilbahnen kommen meist von einer Partei oder einer Initiative für ein konkretes Verkehrsproblem. Die Pläne werden unvorbereitet in die Öffentlichkeit geworfen; auf bekannte, meist unbegründete Vorbehalte hat man sich vorab keine Argumente zurechtgelegt.

Um die Diskussion wieder einzufangen, wird oft eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Damit glauben die Initiatoren richtig zu handeln, machen aber genau das Falsche!

Inwiefern?

Die Machbarkeitsstudie kommt oft zu früh. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Grundlagen für eine sinnvolle Untersuchung meist nicht vorhanden sind. Das Ergebnis der Machbarkeitsstudie ist dann unbrauchbar und kann von Gegnern leicht angegriffen werden. Da kann der Ersteller nichts dafür, da fehlt die Vorarbeit.

Wie sollten die Verantwortlichen stattdessen vorgehen?

Politiker, Städteplaner und Initiatoren sollten zunächst den Mobilitätsbedarf ihrer Kommune ermitteln – unabhängig von dem konkreten Verkehrsproblem, für das sie sich eine Seilbahnlösung vorstellen können.

Das betrifft einerseits den Status Quo: An welchen Stellen in der Stadt gibt es Mobilitätsprobleme, wie Staus, schlechte öffentliche Verbindungen oder lange Wartezeiten? Andererseits sollte die Zukunft in den Blick genommen werden:

Wie entwickelt sich die Stadt in den nächsten Jahren? Wo entstehen neue Siedlungen, Institutionen oder Gewerbeflächen, die öffentlich angeschlossen werden müssen? Diese Bedarfsanalyse sollte im Vorfeld erstellt werden, ohne dass eine Seilbahn überhaupt Thema ist.

Welche Fragen müssen vor einer Machbarkeitsstudie noch geklärt werden?

Ausgehend vom Mobilitätsbedarf sollten die Verantwortlichen definieren, welche Anforderungen die neuen öffentlichen Verkehrsmittel erfüllen müssen. Hier sprechen wir von Förderleistung, Betriebszeiten und Nutzungsbedingungen.

Sollen Kinderwagen, Fahrräder oder E-Scooter transportiert werden können? Bereits in diesem Stadium kann sich zeigen, dass eine Seilbahn nicht sinnvoll ist und es eine Machbarkeitsstudie gar nicht braucht.

Wir haben zum Beispiel für eine Kommune in Deutschland innerhalb von zwei Tagen mit einer kurzen Analyse geklärt, ob eine Seilbahn überhaupt Sinn macht. Da die Kosten für eine derartige Vorabklärung mit ein bis drei Tagsätzen überschaubar sind, ist eine Beauftragung zumeist rasch und unbürokratisch möglich.

Wie gehen Sie hier konkret vor?

Wir haben ein Anforderungsprofil für urbane Seilbahnen entwickelt, mit dem die grundsätzliche Sinnhaftigkeit von Ideen noch vor einer Machbarkeitsstudie geprüft werden kann. Das ist dann auch im Sinne von uns Seilbahnplanern und Herstellern. Denn die Branche hat nichts von Machbarkeitsstudien, die scheitern. Jedes Seilbahnprojekt, das in der Öffentlichkeit begraben wird, schadet anderen Seilbahnideen, da sich die Skeptiker in ihrer grundsätzlichen Ablehnung bestätigt sehen.

Generell scheint Kommunikation der Schlüssel zu sein. Wie und wann sollte die Bevölkerung informiert werden?

Je früher, desto besser. Spätestens mit der Ausschreibung der Machbarkeitsstudie ist die Katze aus dem Sack und die Gefahr hoch, dass das Projekt abgestochen wird. Deswegen sollte die Bevölkerung bereits in der Phase der Bedarfsanalyse eingebunden werden, die ja unabhängig von der Art des Verkehrsmittels durchgeführt wird.

Hier hat sich eine Bürgerbeteiligung z.B. in Form einer Zukunftswerkstatt bewährt. Gemeinsam werden die Fragestellungen für die Machbarkeitsstudie formuliert. Das steigert die Akzeptanz für die Ergebnisse.

Hier müssen die kommunalen Verkehrsbetriebe als potentielle Betreiber involviert werden. Der Bürgerbeteiligungsprozess nimmt zudem denjenigen Skeptikern den Wind aus den Segeln, die erst später auf den Plan treten. Denn in den Workshops hätten sie ja ihre Fragen, Ängste und Kritikpunkte zur Seilbahn noch vor der Machbarkeitsstudie einbringen können.

Können Sie hier Beispiele nennen?

Die meisten Argumente sind bekannt und lassen sich leicht entkräften. Bei den Themen Wind und Lärm verbinden viele Menschen urbane Seilbahnen mit ihren Erfahrungen auf dem Berg und sehen Probleme bei der Betriebssicherheit.

Dabei ist der Wind in Städten selten ein Thema und der Lärm bei alpinen Seilbahnen stammt meist nicht von der Anlage, sondern aus der Umgebung. Dem Thema Privatsphäre lässt sich durch verdunkelte Scheiben und Trassen auf ausschließlich unbebautem oder öffentlichem Grund begegnen. Generell ist es derzeit noch schwer vorstellbar, dass Seilbahnen in Europa über bebautes Gebiet führen.

Falls sich die Verantwortlichen nun für eine Machbarkeitsstudie entscheiden: Worauf sollten Sie achten?

In den Vergabekriterien sollten die Referenzen der Bieter fachspezifisch definiert werden. Praktische Erfahrungen mit Seilbahnen wären mir als Auftraggeber wichtig:

Denn die Praxis aus Bau und Betrieb einer Seilbahn sind relevant, um die Auswirkungen richtig einzuschätzen. Ausführende Unternehmen wie Seilbahnhersteller in der Phase der Machbarkeitsstudie zu involvieren, führt unweigerlich zu Interessenskonflikten und Unvereinbarkeiten nach den geltenden Vergaberegeln.

Ich empfehle daher unabhängige Seilbahnplaner zu beauftragen.

Welche Punkte sollte eine Machbarkeitsstudie umfassen?

Zunächst eine Variantenstudie aller Verkehrsmittel und -trassen, die aufgrund der vorher erarbeiteten Fragestellungen in Betracht kommen: Sind sie genehmigungsfähig, sowie wirtschaftlich in Bau und Betrieb?

Hier sind jeweils eine Grobplanung und eine Kostenschätzung nötig. Teilweise wird hier bereits die Förderfähigkeit erhoben. Anschließend werden die Varianten standardisiert bewertet, insbesondere was die Integration in das Stadtbild und in das öffentliche Verkehrsnetz betrifft.

Hier fließt auch die etwaige Bau- und Betriebsphase mit ein: Wie stark beeinträchtigt die Montage das Stadtleben und ist ein Seilzug mehrmals möglich? Auch die Architektur wird bereits abgefragt und Renderings von Stationen und Strecken erstellt.

Denn eine realistische Visualisierung ist für die Kommunikation immens wichtig. Spart man an den Bildern, kommen von der Gegenseite schnell Horrorgrafiken, die man nicht mehr aus den Köpfen der Menschen bekommt!

Nehmen wir an, die Seilbahn soll nun umgesetzt werden. Welche Aspekte sind besonders wichtig?

Die Ausschreibung von Bau und Betrieb funktioniert am besten in zwei Phasen zusammen mit einem Seilbahnplaner. Zunächst holt sich der Bauherr über die Ausschreibung der Technik einen Seilbahnhersteller. Auf diesem Weg erhält man die für die weitere Planung erforderlichen technischen Daten und eine entsprechende Kostensicherheit.

Denn die Kostenschätzung in der Machbarkeitsstudie ist das eine, der verbindliche Angebotspreis im Hinblick auf die Rohstoffsituation eine ganz andere. Hier kann rechtzeitig gegengesteuert werden, bevor alle Bauleistungen ausgeschrieben werden. Bei nicht seilbahnspezifischen Gewerken empfehle ich Unternehmen zu beauftragen, die sich mit den Begebenheiten vor Ort auskennen.

Und der Betrieb?

Entweder die Kommune betreibt die Seilbahn selbst oder sie beauftragt einen Dritten, wie z.B. einen Seilbahnhersteller, damit, der dafür einen Beförderungspreis in Rechnung stellt.

Hier sollten vorab die langjährigen Wartungskosten als Garantiewerte abgefragt werden. Welcher Weg sinnvoll ist, hängt von der Infrastruktur und der personellen Ausstattung der eigenen Verkehrsbetriebe ab. Falls sich die Verantwortlichen hier unsicher sind, können sie sich den externen Betrieb optional oder zeitlich befristet anbieten lassen!

Das Interview führte Thomas Surrer (ts)

Über Salzmann Ingenieure ZT GmbH

Salzmann Ingenieure mit Sitz im österreichischen Bregenz hat bereits 50 Jahre Erfahrung in der Planung und Umsetzung von Seilbahnen. Über 200 Projekte konnten die Experten bereits umsetzen, hinzu kommen über 150 Machbarkeitsstudien und Beratungsprojekte. SALZMANN unterhält ein enges Netzwerk mit Herstellern, Zulieferern und Behörden. Zudem beteiligt sich das Unternehmen an der Grundlagenforschung zu Seilbahnen und hat bereits ein Anforderungsprofil für urbane Projekte erarbeitet. Kontakt & Infos unter salzmann-ing.at