Gent – Die autofreie Statdt

Zukunftsfähige Mobilität wird nicht nur durch moderne Systeme, etwa urbane Seilbahnen, Realität. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen, um den Verkehr zu beruhigen. Bestes Beispiel: die belgische Stadt Gent. Deren Innenstadt ist seit 2017 nahezu autofrei!

Bereits in den 1980er-Jahren stieß der Verkehr in der mittelalterlichen Altstadt von Gent an seine Grenzen. Die Belastung durch Lärm, Abgase, Stau und Parkplatznot ging sogar soweit, dass Bürger aus der 260.000-Einwohner-Stadt wegzogen.

Deswegen entwickelte Gent zwei Jahre lang ein radikales Mobilitätskonzept, das 2017 in Kraft trat. „Ziele des ‚Circulation Plan‘ sind eine autofreie Innenstadt, höhere Lebensqualität, mehr Sicherheit und Zugänglichkeit – sowie Klimaneutralität bis 2050“, informiert Ann Plas, Kabinettschefin für Mobilität, Stadtplanung und öffentlicher Raum der Stadt Gent im Rahmen der Salzburger Verkehrstage.

Ausgangssituation

Das Hauptproblem der zweitgrößten Stadt Belgiens war zu viel motorisierter Verkehr in der Innenstadt (siehe Grafik links unten). Davon waren elf Prozent reiner Durchgangsverkehr und 28 Prozent „Semitransitverkehr“, also Fahrten, die Teile der Ringstraße mieden.

Mehr als die Hälfte des Verkehrs (51 Prozent) zählte zum Ziel- und Quellverkehr, neun Prozent zu Fahrten innerhalb der Kernstadt.

Ausgangslage: Massiver Transitverkehr in Gent.

„Verkehrszentrum Gent: Reibungsloser Ablauf, Echtzeitinformation, dynamische Verkehrsteuerung“ – so wirbt die Stadt für ihren Mobilitätsplan. Bilder Stadt Gent

Transit verboten

„Wir standen also vor der Frage, wie wir den Durchgangsverkehr aussperren können“, sagt Plas. Die Antwort war die Aufteilung der Innenstadt in sechs Zonen (siehe Grafik oben), wobei direkte Fahrten zwischen den Zonen nur für Blaulichtfahrzeuge, Taxis und Busse erlaubt sind.

„Alle anderen Fahrer müssen die Ringstraße außerhalb der Stadt nutzen“, betont Plas. Für Fahrradfahrer, öffentlichen Nahverkehr und Parkplatzsuchende wurden jeweils eigene Routen festgelegt, um Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern zu verringern.

Im Stadtgebiet gilt großteils Tempo 30. Um die Verkehrsführung durchzusetzen, installierte die Stadt auf den Straßen zwischen den Zonen Blöcke, Poller, Pflanzen, Bänke und Linien. Zudem werden die Übergänge videoüberwacht und Verkehrssünder konsequent bestraft. Denn nur Zielverkehr darf ins Zentrum!

Parken gesteuert

Ein weiterer Schritt war der „Parking Plan“. Während oberirdische Parkplätze in der Innenstadt massiv rückgebaut wurden, schuf die Stadt außerhalb der Ringstraße Park-&-Ride-Anlagen, sowie Tiefgaragen im Stadtzentrum.

Ein umfangreiches Leitsystem sorgt dafür, dass nur derjenige in die Stadt fährt, der dort auch parken kann und darf. Dabei gilt: Je näher zum Zentrum, desto teurer das Parkticket. „Hier war die Einbindung der Einwohner von entscheidender Bedeutung.

Wir mussten den Anwohnern, Geschäftstreibenden und Gastronomen die Ängste nehmen“, berichtet Plas. Deswegen gibt es auch Kurzparkzonen und Anwohnerstellplätze.

Ann Plas, Kabinettchefin für Mobilität, Stadtplanung und öffentlicher Raum von Gent

„Ein gut überlegter Verkehrsplan ist ein schneller Weg, um die Lebensqualität einer Stadt zu erhöhen.“

Das Angebot der Straßenbahn trägt maßgeblich zur autofreien Stadt bei. Foto: De Lijn

Kostenloser Shuttle

Damit alle anderen, wie Dauerparker oder Pendler, trotzdem in die Stadt kommen, hat Gent den öffentlichen Nahverkehr gestärkt und einen kostenlosen Park-and-Ride-Shuttle eingeführt.

Zudem sorgen die regulären Stadtbuslinien, Tramstrecken und sogar ein Elektroboot für umweltfreundliche Mobilität. Nachtbusse und der kostenlose Transport von Kindern bis 14 Jahre machen den öffentlichen Nahverkehr zusätzlich attraktiv. Ein Ausbau der Straßenbahnlinien ist in Planung.

Fahrrad aufgewertet

Ein wichtiger Baustein des „Circulation Plan“ ist der Ausbau der Radinfrastruktur. Gent investierte stark in exklusive Passagen, Brücken und Schnellstraßen für Fahrräder. Zudem installierte die Stadtverwaltung auch für Fahrräder ein durchdachtes Parksystem.

„Das alles schafft den Rahmen für die nötige Fahrradkultur, die wir durch Servicestationen und Radbotschafter verbessern. Hier hilft uns die lokale Wirtschaft mit Dienstleistungen und Angeboten für Biker“, betont Plas.

Straßen als sozialer Raum

Für Fußgänger werden (zumindest stunden- bzw tageweise) Straßen in Flaniermeilen, Schul- und Spielstraßen umgewidmet. Zudem verwandeln die Bewohner ihre Wohnstraßen selbst für je drei Monate im Jahr zu „Living Streets“ und nutzen den Raum für Begegnungen, Straßenfeste und Begrünung.

Ziele für 2030 schon 2019 erreicht

145 Millionen Euro standen und stehen für das Großprojekt zur Verfügung – das rasch beachtliche Erfolge erzielte. So sank der PKW-Verkehr zwischen 2012 und 2019 von 55 auf 27 Prozent, während der Radverkehr von 22 auf 35 Prozent massiv zunahm.

Der öffentliche Nahverkehr steigerte sich um elf Prozent und hält jetzt 20 Prozent am Verkehrsaufkommen. Der Anteil der Fußgänger verbesserte sich ebenfalls von 14 auf 18 Prozent. Im Zuge dessen verbesserte sich die Luftqualität um satte 25 Prozent, die Zahl der Unfälle sank erheblich.

Die Reisezeit und die Parkplatzsuche der übrig gebliebenen Autos verkürzte sich ebenfalls. „Wir haben 2019 bereits die Ziele für 2030 erreicht“, zeigt sich Plas überwältigt. Gent habe sich innerhalb von drei Jahren von einem Parkplatz zu einem sozialen Treffpunkt und zu einer Postkartenidylle gewandelt. ts