Interview: ,,Der Leidensdruck ist zu gering!“

Ueli Stückelberger, Direktor des Schweizer Verbands öffentlicher Verkehr (VÖV), spricht im SI Urban-Interview über das unterschiedliche Potential urbaner und ländlicher Seilbahnen in seinem Land und wie er zu konkreten Projekten steht.

SI Urban: Herr Stückelberger, spielen urbane Seilbahnen in der Schweiz bereits eine Rolle?

Ueli Stückelberger: Ja und nein. Einerseits haben wir eine große Tradition von Standseilbahnen. Diese waren oft die ersten städtischen Verkehrsmittel überhaupt, da sie die topografischen Herausforderungen am besten meistern konnten. In Städten wie Zürich, Bern, St. Gallen und Biel leisten Standseilbahnen seit Jahrzehnten dem alltäglichen und touristi- schen öffentlichen Nahverkehr gute Dienste. Luftseilbahnen sind dagegen eine neue, umstrittene Thematik.

VÖV

In Städten wie Zürich, Bern, St. Gallen und Biel leisten Standseilbahnen seit Jahrzehnten gute Dienste. Foto: Standseilbahn Biel

Wieso? Die Schweiz gilt doch als Musterland für Luftseilbahnen – vor allem in den Bergen.

Das ist richtig. In den Tälern und Bergen sind Luftseilbahnen seit Jahrzehnten öffentliche Verkehrsmittel – teilweise sogar das einzige, das ganzjährig Dörfer miteinander verbindet. Rund 20 der 2.500 alpinen Seilbahnen dienen hauptsächlich dem alltäglichen, öffentlichenVerkehr. Sie sind Teil unseres schweiz weiten Tarifsystems, fahren ganzjährig nach Fahrplan und werden von der öffentlichen Hand mitfinanziert. Aber Seilbahnen direkt in Städten haben es in der Schweiz schwer!

Wenn die Erfahrungen im ländlichen Raum so gut sind, wieso scheitern dann urbane Seilbahnprojekte?

Die größte Hürde ist die Zustimmung der Grundeigentümer. Diese verhindern viele Projekte. Und selbst wenn die- se einwilligen, gibt es ganz sicher Nachbarn, die dagegen sind. Viele Schweizer sind überzeugt, dass eine Seilbahn ihre Privatsphäre stören, das Landschaftsbild beeinträchtigen und Lärm verursachen würde. Zudem wird oft der Sinn solch einer Verkehrslösung angezweifelt.

In den Schweizer Tälern sind Luftseilbahnen, wie hier zwischen Lauterbunnen und Mürren, seit Jahrzehnten öffentliche Verkehrsmittel. Foto: SI

Ob verdunkelte Scheiben, durchdachte Trassen oder leise Antriebe – es gibt viele Argumente, die gegen diese Ängste sprechen. Zudem ist eine Seilbahn oft die günstigste Lösung.

Das schon, aber der Leidensdruck ist zu gering. In Lateinamerika verlaufen urbane Seilbahnen wie selbstverständlich über bebautes Gebiet, da sie sinnvoll, günstig und akzeptiert sind. In der Schweiz haben wir jedoch im Vergleich zu anderen Ländern genug finanzielle Mittel, um uns für teurere Alternativen zu entscheiden, etwa eine Trambahn oder ein Straßentunnel. Wir nehmen lieber Mehrkosten in Kauf, als über eine urbane Seilbahn zu streiten.

Alles was oberirdisch fährt hat es schwer?

Exakt. Die Seilbahntechnik an sich ist in der Schweiz durchaus positiv besetzt, Luftraum- und Flächenverbrauch aber nicht. Wir leben dicht zusammen, die Topographie engt ein. Deswegen müssen alle Verkehrsmittel, auch Busse und Bahnen, den bestehenden Raum nutzen. Neuerschließun- gen sind verpönt, Verkehrsmittel sollen bestehende Routen nutzen – oder eben gleich in den Untergrund.

Die geplante Zooseilbahn in Zürich ist für Stückelberger ein gutes Beispiel für eine sinnvolle Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Foto: Zooseilbahn.ch

Verschenkt die Schweiz damit Potential?

Ja und nein. Zwar glaube ich nicht, dass urbane Seilbahnen allein ein tragbares Verkehrsnetz bilden können, aber als Punkt-zu-Punkt-Verbindung eignen sie sich sehr wohl. Ein gutes Beispiel ist die geplante Zooseilbahn in Zürich. Diese könnte den ganzen Tag über kontinuierlich und rasch Gäste von der S-Bahn Station zum Zoo transportieren. Die Straßenbahn braucht dagegen sehr lange.

Sobald es aber um Verkehrsziele mit Stoßzeiten geht, wie etwa Schulen, bin ich skeptisch. Hier kommt eine Seilbahn mit ihrer Förderleistung rasch an Grenzen, denke ich. Zudem halte ich Seilbahnen mit mehr als zwei Stationen in der Schweiz für fragwürdig, da wir hier wieder beim Problem des Flächenverbrauchs sind.

Wie stehen daher die Chancen für urbane Seilbahnen?

Ob Zürich, Basel, Genf, Freiburg oder Luzern-Kriens: Es gibt viele gute Ideen für urbane Seilbahnen, aber leider geht es bei den Projekten kaum weiter. Dabei ist die Seilbahn durchaus ein attraktives Verkehrsmittel – und mit anderen Mobilitätslösungen gut vergleichbar. Jedoch haben wir dort, wo es eine hohe Nachfrage gibt, bereits eine gute Erschließung mit anderen Verkehrsmitteln. Und dort, wo das Gästeaufkommen gering ist, rentiert sich auch keine Seilbahn. Ich sehe daher die große Chance der Seilbahn in Mobilitäts-Hubs.

Inwiefern?

Die Seilbahn muss mit anderen Verkehrsmitteln verschmelzen. Ein absolutes Vorzeigeprojekt ist hier die Talstation der Seilbahn in Fiesch. Hier können die Fahrgäste direkt von der Eisenbahn in die Gondeln umsteigen. Die Seilbahn muss Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes sein. Je stärker sie eingebunden wird, desto mehr wird sie auch angenommen! Das Interview führte Thomas Surrer (ts)