Urbane Seilbahnen: Die perfekte Lösung! Aber wofür?

Weltweit werden Seilbahnen als perfekte Lösung für urbane Mobilitätskrisen ins Spiel gebracht, zumeist vorangetrieben durch hochspezialisierte Beratungsund Ingenieurbüros. Eine schier endlose Zahl an Machbarkeitsstudien kommt für gewöhnlich, wenig verwunderlich, zu dem Schluss, dass eine Seilbahn technisch machbar und unter bestimmten Rahmenbedingungen auch finanzierbar ist. Doch warum werden nur wenige Studien tatsächlich realisiert? ILF Consulting Engineers, Projektentwickler für urbane Seilbahnprojekte, ist dieser Frage nachgegangen.

Betrachtet man die Berichterstattung in den europäischen Medien, so wird im Zusammenhang mit urbanen Seilbahnlösungen am häufigsten das System in der bolivianischen Hauptstadt La Paz als Referenz genannt.

Anschaulich wird dort unter Beweis gestellt, dass urbane Seilbahnen tragende Säulen öffentlicher, innerstädtischer Verkehrssysteme sein können. Während die Leistungsfähigkeit und die Bedeutung der Lösung in La Paz nicht in Frage stehen, sollte doch kritisch hinterfragt werden, unter welchen Umständen ein Vergleich mit anderen Städten Sinn macht.

Allein für deutsche Städte wurden in der Vergangenheit weit über zwanzig Studien zu urbanen Seilbahnsystemen ausgearbeitet, errichtet wurden aber nur wenige, wie etwa die in Koblenz, die allerdings mehr touristisch als urban einzustufen ist.

Warum also kommen Lösungsansätze aus Lateinamerika nicht in Europa zum Einsatz?

Vom Warum zum Wie

Um den Vergleich mit Seilbahnsystemen anderer Städte zu relativieren, lohnt sich ein Blick hinter vermeintliche Lösungen auf grundlegende Probleme.
Bei dieser Betrachtung gilt: Je konkreter die Formulierung eines Problems oder Bedürfnisses, desto einfacher die Bestimmung der Lösung.

Was einfach klingt, erweist sich oft als elementarer Stolperstein in der Projektentwicklung. Denn nicht selten werden Bedürfnisse und Lösungen verwechselt. Es obliegt dann dem Lösungsanbieter, die tatsächlichen Bedürfnisse zu ergründen und die optimale Lösung zu definieren.

Dabei ist die Herangehensweise eines Anbieters von Verkehrslösungen ähnlich der eines Anbieter von Baumarktprodukten. Wer nämlich in einem Baumarkt das richtige Werkzeug für ein Vorhaben kaufen will, sollte beschreiben, was er erreichen möchte und nicht was er haben möchte.

Statt nach einem Diamantbohrer zu fragen, sollte er den geschulten Verkäufer informieren, dass er zur Befestigung eines Hakens eine Fliese durchbohren möchte. In Kenntnis der Bedürfnisse des Kunden, kann der Berater dann die optimale Lösung anbieten, zum Beispiel kein gebohrtes Loch in der Fliese, sondern ein geklebter Haken auf der Fliese.

Bei der Planung von Verkehrslösungen lassen sich aus diesem Vergleich mehrere Denkansätze ableiten:

1. Jede Stadt sollte lösungsoffen an die spezifischen Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung herangehen. Dazu braucht es Partner, die das gesamte Spektrum urbaner Mobilitätslösungen in Betracht ziehen und Seilbahnen als Option einer intermodalen Gesamtlösung sehen.

2. Zur nachhaltigen Planung von Verkehrslösungen muss die gegenwärtige Situation in ein zukünftiges Szenario extrapoliert werden. Sonst werden bestenfalls bestehende Probleme gelöst ohne sicherzustellen, dass mögliche künftige Probleme Berücksichtigung
finden. Mit Blick auf die Zukunft werden aktuelle Verkehrsdaten mit städteplanerischen Konzepten und demographischen Entwicklungen in Einklang gebracht. Es gilt ein vierdimensionales Bild der Stadt zu entwerfen.

3. Ein Vergleich mit anderen Städten bringt meist keine erhellenden Einsichten für die Herausforderungen der im Fokus stehenden Stadt. Betrachtet man diese Aspekte, erkennt man, dass sich viele Machbarkeitsstudien mehr auf das Wie als das Warum konzentrieren. Technisch machbar ist heute fast alles. Finanzierbar ist auch vieles, wenn Städte bereit sind, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen.

Stellt sich die Frage, welches Maßnahmenpaket geeignet ist, die Mobilitätsbedürfnisse der jeweiligen Stadt nachhaltig zu erfüllen?

Die Antwort kann in einem hoch entwickelten urbanen Umfeld die Entschärfung von Hotspots und unter anderen Gegebenheiten, eine neue Herangehensweise in Hinblick auf Quartiersbildung und Pendlerverhalten sein. Dass Seilbahnen in beiden Fällen eine zukunftsweisende Rolle spielen können, ist mittlerweile hinlänglich bewiesen.

Koblenzer Stadtseilbahn

Es gibt über 20 urbane Seilbahn-Studien in
Deutschland, realisiert wurden aber nur
wenige, wie hier in Koblenz. Fotos: DOPPELMAYR

Von der Gruppe zum Individuum

Jeder Lösungsansatz, sei er noch so umfassend gedacht und langfristig geplant, kann bei unzulänglicher Kommunikation mit den betroffenen Personengruppen
scheitern. Unzulänglich bedeutet nicht Kommunikationsmangel, sondern das Unvermögen die vielen individuellen Vorteile der projektierten Maßnahme zu kommunizieren, sodass sie erkennbar werden.

Es ist relativ einfach, die vordergründig homogene Gruppe der Anrainer einer geplanten Seilbahnstation im Hinblick auf mögliche Belastungen während der Bauphase zu adressieren. Wenn es aber um die Auswirkungen des neuen Mobilitätsangebots wie z. B. steigende Passantenzahlen geht, ist eine differenziertere Betrachtung der Anrainergruppe erforderlich.

Wie ändert sich die Parkplatzsituation? Wie werden Wohnungs- bzw. Geschäftsmieten steigen, etc. Je nach persönlicher Situation wird die Beurteilung und Darstellung des individuellen Nutzens unterschiedlich ausfallen und adressiert werden müssen.

Entscheidend für die Akzeptanz urbaner Mobilitätslösungen ist daher nicht nur die Darstellung der Sinnhaftigkeit des Vorhabens, sondern auch das Vermögen des Projektentwicklers, die Projektbeweggründe und -ziele zu kommunizieren: Warum machen wir das? Welche Probleme wollen wir lösen?

Nach welchen Kriterien entscheiden wir? Eine von Anbeginn geplante und aktiv betriebene professionelle Projektkommunikation ist daher nicht nur Beiwerk zur Erfüllung von Richtlinien, sondern wesentlicher Garant zur Gewährleistung des Projekterfolgs.

Von der begrenzten
zur holistischen Sicht

Eine der zentralen Fragen von Machbarkeitsstudien lautet „Ab wann lohnt sich ein Projekt“? Dabei werden vereinfacht ausgedrückt Passagierzahlen,
Ticketpreise und Betriebskosten über lange Zeiträume analysiert und in abgezinster Form den Investitionskosten gegenübergestellt.

Wenn aber z. B. ein Land wie Luxemburg aus sozialen sowie integrations- und umweltpolitischen Erwägungen beschließt, den öffentlichen Verkehr künftig kostenlos zur Verfügung zu stellen, wird schnell klar, dass Business-Case-Entscheidungen nicht allein auf dem direkten finanziellen Return on Investment basieren.

So profitiert Luxemburg als Veranstalter zahlreicher Konferenzen heutzutage vom indirekten Benefit einer gut funktionierenden öffentlichen Anbindung, da diese zu einer gesteigerten Attraktivität des Konferenzstandorts beiträgt. Derart generierte zusätzliche Erlöse sind entsprechend zu untersuchen und anschließend in
Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.

Die Kosten-Nutzen-Berechnung öffentlicher Verkehrsmaßnahmen muss folglich heute wesentlich mehr leisten, als durch Kapazität und Auslastung, Linienführung, Stationsplanung und intermodale Anbindung dargestellt werden kann.

Heute sind Beratungsunternehmen und Planungsexperten gefordert, lösungsoffen Mobilitätsbedürfnisse zu analysieren, Stadtentwicklungskonzepte (vermehrt auch unter Einbeziehung größer werdender Pendlerradien) ganzheitlich zu untersuchen, die vielfältigen individuellen Vorteile zu verdeutlichen, um so die optimale Lösungskombination zu entwickeln.

Nur aus diesem ganzheitlichen und multidisziplinären Blickwinkel kann das Potential von Seilbahnsystemen auch im hoch entwickelten urbanen Umfeld voll ausgeschöpft werden.